Von der ländlichen Kleinstadt auf die Bühnen der Opernstadt und wieder zurück?

NETWORK: Liebe Vera, zahlreiche Auftritte im Waldecker Land sprechen für dein ausgezeichnetes musikalisches Talent. Wann war für dich klar, dass du dein Hobby zum Beruf machen willst?

Vera: Die Musik-AGs der Alten Landesschule (ALS) in Korbach und mein privater Klavier- und Gesangsunterricht haben mich stark geprägt. Noch während des Abiturs wusste ich, dass ich unbedingt eine praxisnahe Ausbildung machen wollte und durch ein Studium an einer Musikhochschule konnte ich meine Leidenschaft schließlich zum Beruf machen. Komischerweise fällt es mir nun total einfach zum Beispiel lange Arien, Dialoge und ganze Partien auswendig zu lernen, was mir in der Schulzeit schwerfiel.

NETWORK: Künstlerische Leistung ist schwer messbar, trotz dessen führen im Studium nur Credit Points und gute Noten zum Erfolg. Wie verlief Dein Weg zum “Bachelor of Music”?

Vera: Nach dem Abitur hat man mich „nur“ zu einem Gesangpädagogik-Studium zugelassen. Dies studiert zu haben bereue ich keineswegs, ich hätte mir aber vielmehr eine Verknüpfung der künstlerischen Tätigkeit mit der Pädagogik gewünscht. „Theoretisch“ habe ich also prima gelernt, Gesang zu unterrichten, konnte aber vieles davon selbst nicht einmal in die Praxis umsetzen. Man meint, dass für eine Vertiefung nun der Master da sei, doch an der HfM in Dresden sah man mich noch nicht soweit und ich wurde nochmal in einen künstlerischen Bachelor Gesang eingestuft.

NETWORK: Wie geht man als ausgebildete/r KünstlerIn damit um?

Vera: Prinzipiell ist ein weiterer Bachelor natürlich von Vorteil, da ich somit länger, kostenlosen Einzelunterricht an der HfM bekomme, allerdings fängt man schon an, das System zu hinterfragen. Dass ich an einer HfM nicht optimal auf meinen Wunsch-Master vorbereitet wurde, habe ich erst spät gemerkt. Wenn man sich entscheidet, BerufsmusikerIn zu werden, muss man sich von Anfang an eine wichtige Frage beantworten: Welche/r ProfessorIn passt zu mir und bereitet er oder sie mich optimal auf das, was ich machen möchte, vor? Das ist das A und O.

NETWORK: Klingt, als sei ein Einstieg in eine Hochschule für Musik kein einfacher Weg!

Vera: Ich habe erfahren, dass es Studienanwärter gibt, die ihren Studienplatz schon mit in die Wiege gelegt bekommen. Das sind im Gesang meistens Studenten, die ihr Leben lang im Knabenchor ihrer Stadt gesungen haben, Kinder von Profi-Musikern sind oder auf einem Musikinternat waren. Aber den Einstieg schaffen auch viele, die, wie ich, aus einer ländlichen Kleinstadt kommen. Es ist wichtig, früh genug zu wissen, ob man Musik studieren will, denn um das Pflichtfach Klavierspiel, Grundkenntnisse der Musiktheorie und Gehörbildung kommt man nicht herum.

NETWORK: Früher standest du auf den Bühnen der ALS, heute singst du in der Kulturstadt Dresden, die besonders für die Semper Oper bekannt ist. Wovon träumst du als Sängerin noch?

Vera: Ich sehe mich auf jeden Fall im Theaterbetrieb. Wenn ich nächstes Jahr meinen Abschluss mache, will ich mich hier in Dresden auf den Opern-Chor-Master bewerben. Da ist man VollzeitpraktikantIn im Chor der Semper Oper. Das wäre schon grandios, wenn ich dort mal singen könnte. Aber auch meine pädagogische Tätigkeit will ich weiterführen. Als Musiker muss man ja so oder so immer mehrgleisig fahren.

NETWORK: Und inwiefern könntest du dich als Künstlerin im Landkreis verwirklichen?

Vera: GesangsschülerInnen findet man sicherlich auch in Waldeck-Frankenberg. Chöre würde ich auch leiten können, aber dies würde bei mir wahrscheinlich nie über eine ehrenamtliche Tätigkeit hinausgehen. Leider ist das nächste Musiktheater erst in Kassel, sodass ich mich weniger künstlerisch, sondern eher pädagogisch im Landkreis betätigen könnte. Es gibt Profimusiker im Landkreis, die es schaffen, sich mit Muggen und Unterrichten über Wasser zu halten, aber das ist leider wirklich sehr schwer.

NETWORK: Und zum Schluss: Was für eine Idee, ein Projekt oder einen Ort braucht die musikalische Szene in Waldeck-Frankenberg?

Vera: Eigentlich gibt es ein großes Kulturangebot im Landkreis, wie die Stadtfeste, die Konzerte der Kantoreien, Chöre, Orchester und Musikschulen. Es gibt sogar jedes Jahr in Korbach ein Kinder-Musical mit einem tollen Kinder- und Jugendchor und das Jugendhaus stellt jedes Jahr seine Bühne für junge KünstlerInnen zur Verfügung. Doch jeder Verein ist Einzelkämpfer. Ich würde mir für Waldeck-Frankenberg einen Ort wünschen, der nicht als Mehrzweckhalle dient, sondern nur für Musik- und Kunstprojekte ist und dessen Bühne jeder jeden Alters bespielen darf. So gäbe es ein Zentrum und es wäre einfacher für Konzerte und Projekte zu werben. Vielleicht wäre das ja dann ein zukünftiger Arbeitsplatz für mich?

NETWORK: Liebe Vera, wir danken dir herzlich für das Interview und wünschen dir alles Gute!

Vera Filipponi hat der Veröffentlichung dieses Interviews zugestimmt und sämtliche Rechte daran an NETWORK waldeck|frankenberg abgetreten. Eine anderweitige Verbreitung oder Verwendung obiger Inhalte ist nur nach schriftlicher Genehmigung gestattet.

Zur Person:

Die Sopranistin und Gesangspädagogin Vera Margaretha Filipponi studierte nach dem Abitur 2010 an der Folkwang Universität der Künste in Essen Gesangspädagogik. Mit ihrem Abschluss des Bachelor of Music im Jahr 2014 wurde sie an der Hochschule für Musik (HfM) Carl Maria von Weber in Dresden aufgenommen. 2012 – 2014 war sie in verschiedenen Opernproduktionen zu sehen und kann mittlerweile auf zahlreiche Auftritte, besonders im Raum NRW und Nordhessen, in Form von Liederabenden, Operettenrevuen, Solopartien in geistlichen Konzerten der Stadtkantorei Korbach und der musikalischen Gestaltung der „Nachtschwärmer“-Konzerte der Barockfestspiele Bad Arolsen zurückblicken.

www.verafilipponi.de