Nina Schönrock

Nina Schönrock, wie funktioniert Ergotherapie mit Tieren?

Mit Hühnern, Hunden und Pferden traumatisierten Menschen helfen: 2019 gründeten Nina Schönrock und ihr Mann einen Hof für tiergestützte Therapie. Wie die Methode funktioniert und welche Umwege in ihrem Karriereweg sie dorthin brachte, erzählt die Ergotherapeutin im Interview.

 

Liebe Nina, du bist Ergotherapeutin und bezeichnest etwa 40 Tiere als deine Kolleg:innen. Wie funktioniert die Therapie mit Pferd, Kaninchen, Schaf und Co.?

Grundlage für unsere Therapie ist eine Mischung aus Pädagogik,Traumatherapie  und Ergotherapie. Anstatt mit Bällen oder anderen Medien arbeite ich mit Tieren, die mich als Therapeutin unterstützen. Bei Vertrautier behandele ich Menschen jeden Alters, mit emotionalen, psychischen oder physischen Beeinträchtigungen. Meist sind es Kinder und Jugendliche mit schwerem Trauma, Missbrauchs- oder Gewalterfahrungen. Viele schwer traumatisierte Kinder vertrauen Menschen nicht mehr, Tieren aber durchaus. Besonders weil wir mit geretteten Tieren aus dem Tierschutz arbeiten. Genau wie die Klient:innen bringt jedes Tier eine individuelle Geschichte mit. Das schafft eine Bindung und bringt große Erfolge in der Biographiearbeit oder Traumabewältigung. Aber auch bei motorischen Defiziten ist es unfassbar, wie gut die Tiere helfen können: Ein Junge mit schiefgestelltem Becken und Hüfte, der große Probleme beim Laufen hat, hat über die Reittherapie gelernt, seinen Körper einzusetzen und sich aufzurichten.

 

Wie kamst du dazu?

Tiergestützte Therapie zu machen war mein Lebenstraum, seit ich als Jugendliche zufällig eine Reportage darüber im Fernsehen gesehen habe. Aufbauend auf meiner Ausbildung als Ergotherapeutin habe ich die Weiterbildung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention in Hannover gemacht. Davor hat mein Karriereweg allerdings ein paar Umwege genommen.

 

Was meinst du mit „Umwegen“?

Ich habe nach dem Abi zuerst zwei Jahre Biologie mit Schwerpunkt Ethologie in Osnabrück studiert. Das war zwar voll mein Ding, aber ich wollte eine Kombination aus Mensch und Tier bei meiner Arbeit und habe daher weiter gesucht. Ich habe abgebrochen und angefangen in Kassel Erziehungswissenschaften, Psychologie und Kunstwissenschaften zu studieren. Nebenbei habe ich als freiberufliche Malerin Geld verdient. Dann habe ich 2007 die Ausbildung zur Ergotherapeutin begonnen, abgeschlossen und in einer Praxis für Ergotherapie und einer Jugendhilfeeinrichtung gearbeitet. – Ein kurviger Weg, aber jede einzelne Kurve hat mich etwas anderes gelehrt und ist wichtig für das, was ich heute tue. Ich bin dankbar für die Umwege, das Wissen und die Lebenserfahrung, die ich während meiner Studienzeit und langer Exkursionen in Afrika gesammelt habe. Das war viel wert, auch wenn ich das Studium nicht beendet habe.

 

Reittherapie bei Vertrautier: Nina Schönrock in der Reithalle.

Reittherapie bei Vertrautier: Nina Schönrock in der Reithalle.

2019 hast du dich zusammen mit deinem Mann als tiergestützte Therapeutin selbstständig gemacht. Wie ist es für euch Unternehmerehepaar und der eigene Chef zu sein?

Kindern und Tieren zu helfen ist unsere gemeinsame Liebe. Ich glaube nur so funktioniert die Selbstständigkeit. Ich und mein Mann harmonieren auch beruflich gut, sonst hätten wir uns in stressigen Situationen schon zwei Mal fast den Kopf abgerissen. Wir sind ein tolles Ehepaar, können das aber klar vom Geschäftlichen trennen: Die Zuständigkeiten sind klar verteilt und wer sich nicht an die Absprachen hält, wird offen kritisiert. Gerade junge Gründer:innen machen Fehler und die muss man ansprechen können , ohne dass sich das auf andere Lebensbereiche auswirkt. Auch der Streit darüber, dass der Frühstückstisch nicht abgeräumt ist, hat nichts im Gespräch mit den Klient:innen zu suchen.

Am Ende eines langen Tages mit den Tieren sind wir beide grotten-fertig. Wenn wir dann gegen Mitternacht beim Abendessen sitzen, grinsen wir aber trotzdem und freuen uns über das Leben, das wir uns geschaffen haben. Für uns zählt, dass wir tun, wofür wir brennen. Dann ist es auch nicht so schlimm, wenn es in Krisenzeiten mal einen Monat nur Dosenravioli gibt.

 

Was war die größte Herausforderung bei der Gründung?

Der Brandschutz! Jede:r Selbstständige bekommt bei diesem Thema eine Panikattacke und wir haben sogar den ganzen Hof meiner Familie inklusive Reithalle in Usseln komplett umgebaut.

Aber auch die Tiere sind eine Herausforderung: Die Therapiestunden sind für die Tiere sehr anstrengend. Damit sie nicht ausbrennen, braucht man mindestens um die 20 Tiere. Aktuell haben wir zwei Pferde, drei Hunde, drei Katzen, neun Schafe, sieben Ziegen, sieben Hühner und acht Kaninchen und Meerschweinchen. Das ist ein enormer Kosten- und Zeitaufwand und eine große Verantwortung, wegen der ich am Anfang schlecht geschlafen habe. Der eigene Hof hat für uns als Therapeut:innen den großen Vorteil, dass wir selbst die Leitlinien der Therapie festlegen und auf unsere Klient:innen anpassen können. Wir sind die Besitzer:innen unserer Therapietiere und treffen selbst die Entscheidung, welche Tiere wir aufnehmen oder weiter vermitteln. Wenn eines meiner Tiere wieder einen Erfolg erzielt und ein beeinträchtigtes Kind dazu bringt, einen Schritt vorwärtszugehen, dann bin ich stolz wie sonst was!

 

Viel Erfolg weiterhin!

Nina Schönrock

Zur Person

NINA SCHÖNROCK
Jahrgang 1984
Ich arbeite aktuell selbständig als Ergotherapeutin und Fachkraft für tiergestützte Intervention und bin Mitgründerin von VertrauTier
Studiert habe ich Biologie mit Schwerpunkt Ethologie,Erziehungs-und Kunstwissenschaften
Mein Zuhause ist in Usseln, wo wir unseren Traum leben dürfen und wir Freunde und Familie haben. Meine zweite Heimat und ein großer Teil meines Herzens gehört jedoch nach Schottland
Mein Lieblingsort in Waldeck-Frankenberg ist unser wunderschönes Land oberhalb von Diemeltal auf dem Osterkopf in Willingen-Usseln. Es gibt in unserer Region so viele schöne Orte: Edersee, Kellerwald und Co.