Welche Rolle spielen Netzwerke bei der Jobsuche? – Soziologisch erklärt

Nein, es geht hier nicht um ein Vitamin, das gute Blutfettwerte beschert. Sondern um das Karriere-Vitamin „Beziehung“ oder „Bekanntschaft“, das für Vorteile im Job sorgen soll. Welche wissenschaftliche Erklärung steckt dahinter?

von Nadine Graf

 

Zu „Vitamin B“ im Job hat zum Beispiel der amerikanische Soziologe Mark Granovetter geforscht. Er hat sich mit der Netzwerktheorie beschäftigt und wurde in den 1970er Jahren mit seinem Aufsatz „The strength of weak ties“ bekannt. Darin geht es darum, wie sich Arbeitssuchende Informationen beschaffen, indem sie auf Beziehungen zurückgreifen.

Was ist ein Netzwerk?

Zuerst schaut sich Granovetter an, was ein Netzwerk aus soziologischer Sicht ist: ein soziales Gefüge, ein Beziehungsgeflecht – wie facebook, nur im echten Leben. Im Mittelpunkt des Netzwerks stehen wir selbst. Unterschiedlich starke und schwache Beziehungen verbinden uns mit anderen Menschen.

Die Stärke einer Beziehung zwischen zwei Menschen hängt von mehreren Faktoren ab: Wie viel Zeit sie zusammen verbringen, wie emotional ihre Beziehung ist, wie sehr sie einander vertrauen und wie viel sie füreinander tun. So haben wir zum Beispiel meist starke Beziehungen zu unserem Partner, unseren Eltern, Geschwistern und engen Freunden. Zu ehemaligen oder aktuellen Arbeitskollegen, Mitschülern oder Kommilitonen, Nachbarn oder Freundesfreunden haben wir meist schwache Beziehungen. Sogenannte lokale Brücken verbinden, laut Granovetter, die Netzwerke mehrerer Personen miteinander. Diese Verbindungen sind meist schwache Beziehungen.

Grafik 1: Unser Netzwerk besteht aus starken Beziehungen zu Familie und engen Freunden (durchgezogenen Linien) und schwachen Beziehungen zu Bekannten (gestrichelte Linien).

Was passiert in einem Netzwerk?

Laut der Netzwerktheorie von Mark Granovetter dienen Netzwerke dazu Informationen auszutauschen. Durch diesen Austausch beeinflussen sich die Personen gegenseitig. Wenn Dir zum Beispiel ein Kollege eine Serie empfiehlt, die Du noch nicht kennst, werden nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern er nimmt vielleicht sogar Einfluss auf Deinen Medienkonsum (oder beeinflusst zumindest Deine Meinung über seinen Medienkonsum). Wie stark dieser Einfluss ist hängt von der Stärke und dem Charakter Eurer Beziehung ab.

Netzwerke auf dem Arbeitsmarkt

Mark Granovetter hat sich aber nicht an Filmempfehlungen aufgehalten, sondern geschaut, wie sich Netzwerke auf unsere Jobsuche auswirken. Dabei stellte er fest, dass vor allem schwache Beziehungen große Vorteile bringen können:

Die Informationsquelle Netzwerk senkt die Kosten für die Suche nach freien Stellen und potentiellen Arbeitgebern. Zum Beispiel weil Du in einem Plausch mit deinem Nachbarn erfährst, dass das Unternehmen, im dem seine Tochter arbeitet, Mitarbeiter in Deinem Bereich sucht.

Außerdem sagt Granovetter, dass ein Netzwerk eine bessere Platzierung am Markt ermöglicht. Vielleicht weil eine ehemalige Kollegin ein gutes Wort für Dich bei einem befreundeten Personaler einlegt und dadurch Vorteile gegenüber anderen Bewerbern herausspringen.

Warum sind gerade schwache Beziehungen stark?

Der Nachbar, die ehemalige Kollegin – zu ihnen hast du nur schwache Beziehungen. Trotzdem bekommst Du durch sie mehr „Vitamin B“, als durch starke Beziehungen, behauptet der Soziologe Granovetter. Warum? Das liegt an den Informationen, die sie liefern: Starke Beziehungen liefern zwar in der Regel tiefgehende, aber auch redundante Informationen.

Flüchtige Bekanntschaften liefern hingegen viele frische Infos, an die Du sonst nicht gekommen wärst. Das liegt daran, dass schwache Beziehungen oft als lokale Brücken fungieren. Sie sind also die einzige Verbindung von Dir zu einem anderen Netzwerk, wie dem der Nachbarstochter oder der Personalerfreundin. Das macht diese schwachen Beziehungen zu exklusiven Informationsquellen.

Grafik 2: Lokale Brücken verbinden die Netzwerke von zwei Menschen. Sie sind meist schwache Beziehungen.

Wie baust Du ein berufliches Netzwerk auf?

Der Nachteil an schwachen Beziehungen ist, laut Granovetter, dass sie sich erst im Laufe der Karriere herausbilden. Beschleunigen kannst Du das, indem du viele Menschen kennenlernst und schwache Beziehungen aufbaust. Also rede doch mal wieder mit der Nachbarin, verabrede Dich auf einen Kaffee mit der Ex-Kollegin oder schau bei einem unserer Events vorbeizuschauen, networken geht da immer.

Kritik an der Theorie

Die Netzwerktheorie von Mark Granovetter ist durch empirische Studien belegt, natürlich gibt es aber auch Kritik an seinen Annahmen und Soziologen, die Gegenteiliges belegen. Das sagt auch Christine Avenarius, die zum Beispiel an der Effizienz des Informationsaustauschs durch Beziehungen zweifelt, Granovetters Theorie generell aber bestätigt.

Fazit: Karrierevorteile durch ein großes Netzwerk

Dass „Vitamin B“ bei der Jobsuche hilfreich sein kann, bestätigt der Soziologe Mark Garnovetter mit seiner Theorie zur Stärke schwacher Beziehungen. Laut ihm sind es vor allem Menschen, zu denen wir keinen intensiven oder regelmäßigen Kontakt haben, die uns weiterhelfen können. Grund: Sie versorgen uns mit frischen Infos und vernetzen uns noch weiter. Wer sich also ein breites Netzwerk mit vielen flüchtigen Bekanntschaften aufbaut, kann Informationsvorteile bei der Jobsuche haben.

Auch NETWORK bietet Dir viele Gelegenheiten, neue Kontakte zu Menschen und Unternehmen aus Waldeck-Frankenberg aufzubauen. Schau mal vorbei, wir freuen uns auf Dich!

Quellen und Leseempfehlungen:

  • Granovetters vielzitierten Aufsatz gibt es hier als PDF. (Granovetter, Mark 1973: The Strength of Weak Ties. In: American Journal of Sociology 78, S. 1360–1380.)
  • Interessant ist auch sein Buch “Getting a Job: A Study of Contacts and Careers” (Granovetter, Mark 1995: Getting a Job: A Study of Contacts and Careers. Chicago: University of Chicago Press.)

Sekundärliteratur und Kritik:

  • Kropp, Per 2010: Netzwerke und Arbeitsmarktprozesse. In: Handbuch Netzwerkforschung, Stegbauer, Christian und Häußling, Roger (Hrsg.), S. 635 – 646.
  • Sparsam, Jan 2015: Wirtschaft in der New Economic Sociology. Eine Systematisierung und Kritik. Wiesbaden: Springer VS.
  • Avenarius, Christine 2010: Starke und Schwache Beziehungen. In: Handbuch Netzwerkforschung, Stegbauer, Christian und Häußling, Roger (Hrsg.), S. 99 – 111.