Integration durch Sprache in Waldeck-Frankenberg

NETWORK: Lieber Jochen, im letzten Jahr hast du deine Zeit dafür investiert, die im Landkreis angekommenen Flüchtlinge zu integrieren. Wie hast du das gemacht?

Jochen: Im vergangenen Sommer habe ich für fünf Wochen einen Deutschkurs für Flüchtlinge durchgeführt. Etwa 15 Menschen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern haben daran teilgenommen. Der Kurs war als sogenannter A1-Kurs konzipiert, das heißt den Teilnehmern wurden grundlegende Sprachkenntnisse für den Alltag in Deutschland vermittelt.

NETWORK: Gibt es deiner Meinung nach ein bestimmtes Profil, das potentielle Deutschlehrerinnen und -lehrer haben sollten?

Jochen: Meine persönliche Meinung ist, dass es außer des persönlichen Engagements und guter Kenntnisse der deutschen Sprache keiner besonderen Qualifikation bedarf. Man muss sich vor Augen halten, dass es hier erstens um die Vermittlung grundlegender  Kenntnisse geht und zweitens die Teilnehmer motiviert sind. Mit ein bisschen Kreativität  und viel Geduld kann man schon sehr viel erreichen. Grundprinzip dabei: „Man kann nicht ‚nicht unterrichten‘.“ – alles, was man vermittelt, ist schon mehr, als viele der Teilnehmer aufgreifen können, wenn sie nur unter sich sind.

NETWORK: Gab es etwas, das deinem Engagement im Wege stand?

Jochen: Organisatorisch lief alles recht unbürokratisch ab: Frau Müller vom Netzwerk für Toleranz hat für mich schnell einen Kontakt zur Volkshochschule hergestellt, die als Träger agierte und auch ein geeigneter Raum wurde schnell gefunden. Sehr ärgerlich fand ich jedoch, dass der Kurs vor kurzem eingestellt wurde. Im Oktober hatte Herr Dr. Gerhard Schmidt den Kurs in Freiwilligenarbeit übernommen und in ein gemeinsames Projekt mit Schülern der Alten Landesschule überführt. Dies stieß bei allen Beteiligten auf sehr positive Resonanz. Leider hat sich die VHS dann als Träger verabschiedet mit der Begründung, der verwaltungsrechtliche Aufwand sei nicht mehr tragbar. Für so etwas habe ich kein Verständnis – da engagieren sich junge Menschen und ihnen wird sehr bürokratisch „der Hahn zugedreht“. Warum?

NETWORK: Warum könnte ein Schülerprojekt zum Sprachunterricht erfolgreich sein?

Jochen: Ich bin der Meinung, dass es die beste Variante ist, Sprachkurse für Flüchtlinge aufzustellen – weil alle Beteiligten profitieren: die Schüler schärfen ihren Blick für die eigene Sprache und trainieren neben sozialen Fertigkeiten auch das Erklären, die Flüchtlinge können in Kleingruppen stärker individualisiert unterrichtet werden, weil mehrere „Lehrer“ im Raum sind und schließlich der aufsichtführende Kursleiter, der entlastet wird, indem er als „Coach“ Hilfestellung gibt und Sicherheit schafft. Im Ergebnis haben wir idealerweise eine Schülergeneration, für die nicht nur der Kontakt zu Flüchtlingen, sondern auch die Integrationsarbeit und soziales Engagement etwas Selbstverständliches ist. Aus diesem Grund leite ich derzeit mit einer Schülergruppe solch ein Projekt.

NETWORK: Wie könnte eine optimale Vermittlung zwischen interessierten Kursleitern und Flüchtlingen aussehen?

Jochen: Staatliche Stellen sind momentan leider mit der reinen Erfassung und Grundversorgung der ankommenden Flüchtlinge immernoch überlastet. In meiner Wahlheimat Goslar gibt es eine „Freiwilligenagentur“, die sich genau dieser Vermittlungsaufgabe widmet. Eine sehr gute Lösung, die sicherlich auch für unseren Landkreis angemessen wäre. Ich würde mir ein Netzwerk, das sich ausschließlich diesem Zweck zuwendet, wünschen.

NETWORK: Welche Ziele hast du dir persönlich für diese ehrenamtliche Arbeit gesetzt?

Jochen: Ich möchte etwas tun, um die Integration voranzubringen. Die politischen Fehlansätze in der Flüchtlingskrise sind vollzogen worden und die Verwerfungen davon werden uns noch einige Jahre begleiten. Mein Ziel ist es, vor Ort das Beste aus der schwierigen Lage zu machen und den Flüchtlingen aufzuzeigen, dass Integration funktionieren kann, und gleichzeitig deutlich zu machen, dass es mit Anstrengung verbunden ist. Die Sprache zu lernen ist und bleibt das A und O! Klare Ansagen in diese Richtung und auch Wertevermittlung gehören dazu definitiv in die Sprachkurse.

NETWORK: Was wünscht du dir in Bezug auf die Integration von Flüchtlingen für den Landkreis?

Jochen: Ein Netzwerk, das Helfer und Hilfsbedürftige im Bereich des Sprachenlernens zusammenführt. Unbürokratische Lösungen. Einbringung ortsansässiger Unternehmen in die Finanzierung dieser Projekte. Eine Art Leitfaden oder „Lehrerhandreichung“ für Einsteiger, die sich zum ersten Mal an ein Engagement als Kursleiter herantrauen. Kooperation des Landkreises mit Schulen und damit aktive Förderung von Schülerprojekten. Vielleicht wäre in diesem Sinne ja auch ein „Integrationspreis“ denkbar, der Schulen mit besonders innovativen Projekten auszeichnet.

NETWORK: Wir sagen „Vielen Dank“ für diesen Einblick und wünschen dir insbesondere für dein Schülerprojekt weiterhin viel Erfolg!

Jochen Rube hat der Veröffentlichung dieses Interviews zugestimmt und sämtliche Rechte daran an die NETWORK waldeck|frankenberg GbR abgetreten. Eine anderweitige Verbreitung oder Verwendung obiger Inhalte ist nur nach schriftlicher Genehmigung gestattet.

Zur Person:

Jochen Rube, 31 Jahre alt, studierte nach seinem Abitur an der Alten Landesschule Gymnasiallehramt an der Phillipps-Universität, Marburg. Derzeit unterrichtet er Englisch und Geschichte am Landschulheim Grovesmühle. Neben seiner Arbeit engagiert er sich in der Kommunalpolitik, interessiert sich für Sprachen, Vereinsarbeit, Schützenwesen und Sport.